Der Druck auf die Distributionslogistik steigt – viele Kunden erwarten immer kürzere Lieferzeiten, gleichzeitig sollen Unternehmen zunehmend individuellere Lieferbedingungen erfüllen. Welche Auswirkung dies auf die Distributionsstrategie und Standortfindung hat, erläutert viaLog-Projektleiter Dirk Aulbur.
Herr Aulbur, die Distributionslogistik macht seit einigen Jahren einen Entwicklungssprung. Was sind Ihrer Meinung nach im Moment die größten Herausforderungen für die Unternehmen?
Aulbur: Zu den größten Herausforderungen in der Distributionslogistik zählen derzeit die Verkürzung der Lieferzeiten sowie kundenindividuelle Lieferbedingungen. Das Thema “Lieferzeiten” steht aktuell besonders im Fokus. Doch nicht jede Branche macht solche Quantensprünge wie die Same-Day-Delivery mit. Das wird im Moment nur in einzelnen Branchen verlangt, insbesondere im Handel. Der zunehmende Anspruch an individualisierte Lieferbedingungen, von der speziellen Verpackung bis hin zum Sendungszusammenhalt, betrifft hingegen schon jetzt viele Unternehmen – und zwar branchenübergreifend. Die Belieferung unterschiedlicher Kundengruppen, d.h. die Multi-Channel-Logistik, hat darüber hinaus erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Supply-Chain, insbesondere auf die Prozesse und die Logistik-Standorte.
Mit welchen Maßnahmen reagieren Unternehmen auf die steigenden Anforderungen an die Distribution?
Aulbur: Wir erleben, dass aktuell viele Unternehmen ihre Distributionsstrategie auf den Prüfstand stellen. Diese Entscheidung wird natürlich auch von der guten Konjunktur der vergangenen Jahre beflügelt. Die Fragen, die meist im Zentrum stehen, sind: „Wie können wir den Lieferservice steigern?” und „Wo bauen wir zusätzliche Logistik-Kapazitäten auf?”. Viele Unternehmen setzen dabei auf eine Distributionsstrategie, die – gemessen am Hype um die kurzen Lieferzeiten – noch vergleichsweise zentral organisiert ist. Grund dafür ist, dass eine zentralere Distributionsstruktur die Möglichkeit bietet, die Komplexität der Logistik sowie häufig auch die Lagerkosten, Handlingskosten und Bestandskosten zu reduzieren. Die gute Infrastruktur in Deutschland, die einen 24-Stunden-Lieferservice im ganzen Land ermöglicht, begünstigt zentrale Strukturen natürlich.
Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute Distributionsstrategie aus?
Aulbur: Eine gute Distributionsstrategie ist zukunftsfähig, sie antizipiert also über den eigentlichen Planungshorizont hinaus Szenarien für die Entwicklung der Logistik. Ein Ziel sollte sein, dass sich eine Distribution sukzessiv weiterentwickeln kann, ohne dass an einem Punkt die Struktur komplett neu aufgesetzt werden muss. Deshalb ist Flexibilität in Logistik-Konzepten von zentraler Bedeutung. Zudem muss eine gute Distributionsstrategie praktisch umsetzbar sein. Es ist keinem Unternehmen damit geholfen, über die theoretisch beste Strategie zu verfügen. Sie muss auch pragmatisch sein. Daher ist es wichtig, das Potential bestehender Strukturen wie Gebäude, Lager-Technik oder Personal optimal zu nutzen.
Darüber hinaus muss ein Konzept wirtschaftlich sein. Dafür ist es entscheidend, die Bestandskosten, Transportkosten und Handlingskosten sowie die Investitionen für neue Strategien im Detail zu ermitteln. Da der größte Posten unter den Investitionen in der Regel für die Lager anfällt, sollte er durch eine Lagerplanung fundiert berechnet werden. Schätzwerte beschleunigen zwar die Kalkulation, sie können insbesondere an dieser Stelle jedoch zu eklatanten Fehleinschätzungen führen.
Verändert sich auch die Vorgehensweise zur Entwicklung von Distributionsstrategien?
Aulbur: Heutzutage sind größere Datenmengen verfügbar. Allerdings gehören die für die Planung relevanten Zahlen oft nicht zu den Standard-Kennzahlen eines Logistik-Verantwortlichen und müssen zusätzlich erhoben werden. Auch zur Daten-Auswertung stehen mittlerweile bessere Software-Tools zur Verfügung. Damit können bei einer Distributionsstudie z. B. die optimalen Logistik-Standorte zügiger berechnet und visualisiert werden. Es ist jedoch wichtig, sich der Grenzen solcher Tools bewusst zu sein: Sie sind reine Hilfsmittel. Sie können keine umfassenden Betrachtungen anstellen, sondern nur quantifizierbare Kriterien auswerten. Zudem sind sie nicht in der Lage, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Es ist letztlich immer die Aufgabe des Menschen, die Software-Ergebnisse auszuwerten und im Gesamtzusammenhang zu beurteilen.
Das Interview führte Liesa Schall.